Karrieremessen sind immer so ein Ding – man muss sie mögen oder hassen. Auch wenn ich nach zwei Tagen Absolventenkongress diverse Blessuren an meinen Füßen und meinen Stimmbändern habe, möchte ich auf Karrieremessen generell nicht verzichten. Der Absolventenkongress – von Insiders auch AbsKo genannt – ist (oder war) die größte und wichtigste Karrieremesse in Deutschland. Gleichzeitig gab es auf der anderen Seite jedoch keine andere Veranstaltung, die so kontrovers diskutiert wurde / wird. Zeit, dies genauer unter die Lupe zu nehmen. Ich werde im weiteren ein paar gängige Thesen und Meinungen zum AbsKo unter die Lupe nehmen.
Der AbsKo ist „Deutschlands größte Jobmesse“
Quelle: Eigene Website des AbsKo
Woran könnte man solche Aussagen messen? Betrachten wir mal den zeitlichen Aspekt: Der AbsKo dauert 2 Tage. Damit ist er zwar lang, aber bei weitem nicht die längste Karrieremesse. Betrachtet man die Anzahl der Aussteller, dann kommt der AbsKo laut eigenen Aussagen auf 300 Stück. Auf der Connecticum beispielsweise sind hingegen laut eigenen Aussagen 400 Aussteller. Auch die Anzahl der Besucher ist bei der Connecticum mit 20.000 deutlich größer als beim AbsKo. Laut eigener Pressemitteilung kommt der AbsKo „nur“ auf rund 13.000 Besucher. Wenn es weder die Dauer, noch die Anzahl der Aussteller, noch die Anzahl der Besucher ist, dann fehlt mir ehrlich gesagt die Kreativität, welches Kriterium hier maßgebend sein sollte.
Auch bei der genauen Betrachtung der durch Staufenbiel angepriesenen Zahlen, gibt es Ungereimtheiten. Wer sich die ausstellenden Unternehmen anschaut, kommt nicht auf die „300 Unternehmen“. Es sind nicht einmal 250 Aussteller beim genaueren Zählen – und da sind auch einige Hochschulen und öffentlichen Institutionen noch drin, die ich zumindest nicht als „Unternehmen“ definieren würde.
Fazit: Falsch!
Beim AbsKo passt das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht
Quelle: Klassische Aussage vieler Unternehmensvertreter
Interessanterweise bekommt man diese Aussage sowohl von Personalern zu hören, die mit ihrem Unternehmen auf dem Absolventenkongress waren, als auch von Personalern, die sich gegen den Absolventenkongress entschieden haben. Dieser Gedankengang kommt meines Erachtens vor allem aus der Zeit, als das Wettrüsten in Puncto Größe und Ausstattung der Messestände seinen Höhepunkt erreicht hatte. Neben einer Vielzahl von kleinen „klassischen“ Messewänden und Roll-Ups gab es auch einige imposanten Auftritte.Teilweise sogar 2-stöckig (Lidl), mit Autogrammstunde von Fußball-Weltmeistern (Bayer) und diversen kulinarischen Köstlichkeiten (Melitta, EY etc.).
Meiner Erfahrung nach würde ich bei diesen großen Messeständen preislich vom ca 20-fachen eines kleinen, portablen Messestands ausgehen. Da aber der Recruiting-Erfolg nicht linear mit den Investitionskosten ansteigt, wird der Cost-per-Hire bei einem solchen Messestand nicht optimal ausfallen. Aber es geht natürlich auch um das Image. Das ist ein Faktor, den man nicht unterschätzen darf. Und genau dieser Faktor hat zeitweise zu einem Wettrüsten geführt. Wenn der größte eigene Kokurrent einen deutlich größeren und schöneren Stand hat, dann will man das im nächsten Jahr überbieten. Das war zumindest einige Jahre die Devise. Die andere Alternative ist, dass man erst gar nicht zum AbsKo kommt. So wirkte es in diesem Jahr. EY mit riesigem Stand. Deloitte, KPMG und PwC waren hingegen erst gar nicht vertreten. Telekom mit sehr großem Stand. Vodafone und Eplus/O2 nicht vertreten. In Summe kann man sagen, dass man mit einem kleinen Stand durchaus eine Menge Recruiting-Erfolg erzielen kann. Wenn man jedoch übermäßig auffallen will, muss man sehr tief in die Tasche greifen und dann stimmt es, dass Preis und Leistung nicht mehr zusammen passen.
Fazit: Stimmt teilweise.
Der AbsKo „löst die Grenzen zwischen analogem und digitalem Recruiting auf“
Quelle: Eigene Pressemitteilung
Die Organisatoren des AbsKos haben sich in diesem Jahr tatsächlich einiges vorgenommen und hatten einige neue Ideen, die es vorher noch nicht gab (weder auf einem AbsKo noch auf einer anderen Karrieremesse). Hier die wichtigsten Zeilen der Pressemitteilung zitiert:
Kernstück des „Integrated Recruiting“ ist die neue StaufenbielApp.[…] Die App zeigt anhand eines „Matching-Faktors“, wie bei einem Dating-Portal, wie sehr sie zu dem jeweiligen Arbeitgeber passen. So finden die Bewerber schnell Stellen mit Erfolgsaussichten und können ihre Wunscharbeitgeber kontaktieren. […] Nähert sich ein Bewerber mit einer hohen Matching-Kennzahl einem Stand, erhält er eine Einladungsnachricht des jeweiligen Unternehmens auf sein Smartphone. Und Studenten, die es nicht schaffen, sich bei jedem ihrer Wunscharbeitgeber persönlich vorzustellen, können mit der StaufenbielApp den QR-Code des Stands einscannen und ihre Bewerbungsunterlagen übermitteln.
Ich muss ja gestehen, dass ich den Ansatz in der Theorie durchaus charmant und interessant fand. Und ja, der Ansatz ist – zumindest für meinen Erfahrungsschatz – etwas komplett Neues. Leider ist es mir nicht möglich, diesen neuen Ansatz abschließend zu bewerten – aus zwei einfachen Gründen:
1.) Es haben nicht genug Studenten diese App tatsächlich genutzt. Ich habe an den 2 Tagen genau 3 Studenten gesehen, welche diese App genutzt haben. Ich habe auch ein paar Studenten darauf angesprochen, aber die hatten die App zwar installiert, aber dann das Smartphone nicht rausgeholt und daran gedacht.
2.) Und dieser Punkt ist viel wichtiger: Das Konzept scheint leider noch nicht hundertprozentig zu funktionieren. Sowohl beim Filtern aus Unternehmensseite gab es ein paar schwerwiegende Bugs – als auch bei der Nutzung der App durch die Studenten. Laut dem nicht-repräsentativen Feedback der 3 Studenten klappte die App in den meisten Fällen nicht. Dies kann jedoch auch an der teilweise schlechten Mobilfunk-Verbindung in der Halle zusammenhängen – änderte jedoch nichts an dem Ergebnis.
Fazit: Leider nicht zu beurteilen.
Der AbsKo ein Auslaufmodell
Quelle: Die Meinung einiger Personaler-Kollegen/innen
Die Aussage kann zwei unterschiedliche Schwerpunkte haben. Entweder wird hierdurch die große Karrieremesse im Allgemeinen als Auslaufmodell bezeichnet oder „nur“ der Absolventenkongress im Speziellen. Meiner Erfahrung nach sind Karrieremessen ein sehr guter Kanal, um mit vielen potenziellen Bewerbern in Kontakt zu kommen und gleichzeitig mit persönlichem Kontakt zu punkten. Je größer eine Karrieremesse ist, desto mehr potenzielle Bewerber sind dort zu finden – jedoch ist dort auch die Konkurrenz deutlich höher. Um dort also besonders aufzufallen, benötigt es einen auffälligen Auftritt oder einer sehr anziehenden Arbeitgebermarke.
Je mehr andere Unternehmen sich versuchen durch größere Stände und tollere Ideen abzugrenzen auf einer solchen Messe, desto schwieriger wird es für andere Unternehmen, dort aufzufallen. Und hier liegt es an den Organisatoren, dem Einhalt zu gebieten. Denn ansonsten werden auch zukünftig immer mehr Unternehmen überlegen, ob man nicht mit dem Geld, welches man in den AbsKo investiert, besser anders einsetzen kann.
Gleichzeitig sollte sich der AbsKo auf seine Stärken konzentrieren (persönlichen Kontakt zwischen Absolventen und Unternehmen herstellen) und nicht Zeit und Geld primär in Konzepte investieren, die versuchen, alles digital zu lösen. Wenn ich als Arbeitgeber dies will, dann kann ich auch schon direkt auf eine virtuelle Karrieremesse gehen oder die Lebenslauf-Datenbank von Absolventa nutzen.
Ideen, wie die neue „Career Battle“ (die ich leider nicht selbst gesehen habe), sind ein guter Ansatz – es darf nur nicht eine Reiz-Überflutung für die Messe-Besucher geben.
Fazit: Nein, (noch) nicht!
Meine 5 Wünsche an den nächsten AbsKo:
1.) Überdenkt das neue Klein-Stand-Konzept.
2.) Überlegt, wie man gegen das „Wettrüsten“ vorgehen kann.
3.) Setzt euch in einem Round-Table, mit euren Ausstellern zusammen und hört auf deren Feedback.
4.) Mehr Möglichkeiten, um mit Bewerbern in diskreter Atmosphäre zu sprechen (Interview-Räume, Speed-Dating für einen Erst-Eindruck o.ä.).
5.) Bessere Performance der neuen – möglicherweise sehr sinnvollen Tools.
Sehr gut analysiert! Ich kann als Teilnehmer (Student) der Messe ebenfalls bestätigen, dass einige Bugs in der App waren (deren Gestaltung aber ganz gut war).
Auch habe ich niemanden die Barcodes scannen sehen, um den CV digital für das Unternehmen freizuschalten.
Der Sinn der App darf jedoch noch aus einem anderen Grund hinterfragt werden. Einige Zeit nach Beginn des ersten Veranstaltungstags (ich war vor Ort) setzte die App innerhalb weniger Minuten insg. ca. 8-10 gleichlautende Hinweise in meine Benachrichtigungszeile, sinngemäß ungefähr so: "Firma XY hat eine hohe Übereinstimmung mit deinem Profil…" mit anschließendem Call-to-Action. Das hat mich allerdings auch nicht dazu bewegt, die empfohlenen Unternehmen spontan auf meine Besuchsliste zu setzen.
Hallo ILIANos,
hoffen wir mal, dass die App dann bei den nächsten Kongressen zumindest Bug-frei ist.
Vielleicht lag es auch an mangelnder Transparenz woran es lag, dass man ausgewählt wurde?! Und wofür man "gematcht" wurde. Vielleicht hätte es dich ja mehr angesprochen, wenn du einen konkreten Job angezeigt bekommen hättest. Sowas fänd ich dann zumindest ansprechender…
Wie hat dir sonst der Kongress gefallen?
VG
Tim
Hallo Tim,
besser spät als nie. Es war wie so oft, und ich war 2 oder 3 Jahre zuvor bereits auf dem Absolventenkongress und es war nicht anders. Ohne intensive Vorbereitung auf einzelne Unternehmen oder ohne bereits terminierte Gesprächen bringt es den Kandidaten meiner Ansicht nach sehr wenig. Detaillierte Einsichten sind nur selten von den Gesprächspartner zu erwarten. Und wer als Unternehmen sein externes Personalmarketing nicht vernachlässigt (z.B. auf der Karriereseite), sollte nicht allzu viel neue Informationen bieten können. Z.B. zum Ablauf von Praktika oder Traineeprogrammen (eine klassische Frage am Stand).
VG, Ilian