Es geht weiter mit dem munteren Deepdive zu Recruiting-Kennzahlen. Diesmal nehme ich eine der schwammigsten Kennzahlen auseinander: Candidate Quality. Jetzt werden sich vielleicht die einen oder anderen von euch fragen, warum Kandidatenqualität überhaupt eine Kennzahl ist.

Ich verspreche euch: Wenn ihr den Artikel bis zum Ende durchlest, werdet ihr verstehen, warum Candidate Quality (im weiteren CQ) eine hervorragend Kennzahl sein kann, die euer Recruiting auf das next level bringen kann – aber ihr werdet auch erkennen, dass wir hier in erster Linie von ungenutzten Potenzialen sprechen, da CQ häufig desaströs genutzt wird und maximal dazu dient, die mangelnde Qualität einer Recruitingorganisation zu zeigen.

Ja, bei dem Thema rede – ähm schreibe ich mich in Rage.

Also runterkommen und langsam dem Thema nähern.

Was ist Candidate Quality?

Der Begriff soll die Passung von Kandidatinnen und Kandidaten an ein Anforderungsprofil darstellen. Grundsätzlich unterscheiden wir hier zwischen der formellen Passung (Qualifikationsmerkmale) und der nicht-formellen Passung (Kompetenzen sowie Potenziale). Dabei muss dies nicht zwingend stringent nach einem festdefinierten Muster erfolgen. In der Praxis kann Candidate Quality auch ein relatives Merkmal sein – also beispielsweise die besten X% aller Bewerbungseingänge. Dazu später mehr.

  • Beispiel: Qualifikationsmerkmale: 3 Must-Have Merkmale „Abitur mit Note 1,x“, „Studium der Betriebswirtschaftslehre an einer renommierten Hochschule“ sowie „mindestens 2 Praktika – davon mind. 1 im Ausland“

Wie kann man Candidate Quality in der Praxis messen?

Grundsätzlich gibt es drei praxiserprobte Möglichkeiten, wie man die Messung der Candidate Quality

ABC-Analyse: Vereinfacht ausgedrückt wird jeder Bewerber in die Qualitätsgruppe A (sehr passend) B (eventuell passend) und C (unpassend) eingeordnet. Dies kann nach Sichtung der Unterlagen durch Recruiting oder den Fachbereich sein oder nach einem Interview. Die Skalierung kann natürlich noch differenzierter sein. Am einfachsten kann man diese Einordnung direkt im Bewerbermanagementsystem durchführen – in vielen Systemen gibt es ein Standard-Setup hierfür.

  • Meine Einschätzung dazu: Eine ABC Analyse ist in vielen Systemen bereits vorgesehen, aber wird nicht konsequent genutzt, weil häufig der Mehrwert nicht ersichtlich ist. Hin und wieder ist bei diesem Format eine Kalibrierung notwendig, da es nicht immer 100%ig trennscharfe Entscheidungen gibt.
  • Extra-Tipp: Eine schöne Übung zur Kalibrierung. Lasst die Einordnung parallel und unabgestimmt parallel von Recruiting und Fachbereich durchführen. Eine sehr gute Übung zum Hinterfragen des eigenen Bewertungsverhaltens.

Prozess-Auswertung: Hierbei wird die Candidate Quality abgelesen durch einen Prozessfortschritt im Recruitingprozess. Klassische Beispiele sind: Kandidat*innen werden als gut eingestuft, sobald sie das erste Screening positiv durchlaufen haben oder das erste Interview, Online-Assessment o.ä. bestanden haben.

  • Meine Einschätzung dazu: Prozessauswertungen sind mein Favorit, da man die zugrundeliegenden Daten defintiv schon vorliegen hat und sie nur noch nutzen muss. Doch sollte man sich bewusst sein, dass das Ergebnis immer auch von der Masse an Bewerbungen beeinflusst wird. Oder anders ausgedrückt: Habe ich sehr viele Bewerbungen auf eine Position, bin ich oft kritischer in der Selektion, als wenn ich nur sehr wenige Bewerbungen habe.

Automatisierte Unterlagen-Analyse: Es ist heutzutage relativ einfach möglich, automatische Lebenslaufanalysen durchzuführen durch CV-Parsing Technologien. Dadurch kann man einfache Analysen durchführen, zur ersten Analyse der formellen Passung. Klassische Analysen wären: Anzahl der Jahre Berufserfahrung + Ausbildungshintergrund.

  • Meine Einschätzung dazu: Wenn man kein entsprechendes Tool hat , ist der Initialaufwand dazu sicherlich am höchsten. Dafür hat man dann einen komplett automatisierten Prozess, der im Weiteren auch noch detaillierter analysiert werden kann. Am besten nutzt man diese Form der Auswertung nur da, wo es klar messbare, harte Anforderungen gibt (beispielsweise, durch rechtliche Anforderungen etc.).

Was kann man mit der Candidate Quality genau machen?

Die Candidate Quality ist extrem wichtig, wenn man detaillierter die Cost-per-Candidate und die Kanalqualität betrachten möchte. Schließlich ist die Cost-per-Candidate für einen besonders passenden Kandidaten höher akzeptierbar als für einen weniger passenden Kandidaten. Und genau so ist man für einen Kanal gerne bereit mehr Geld zu investieren, wenn man weniger Kandidaten hat, aber diese sehr gute Passung haben.

Daher kann man seine Kennzahlen erweitern:

Cost per quality Candidate: Neben der Cost per Candidate kann man nun auch die Cost per quality Candidate erfassen. Dadurch wird der Vergleich von verschiedenen Recruitingkanälen deutlich aussagekräftiger.

Ein kleines Rechenbeispiel erläutert dies:

Während es hier eindeutig nach einer positiven Einschätung für Kanal 1 aussieht, fallen die Ergebnisse komplett anders aus, wenn man sich die Cost per quality Candidate anschaut. Solche Beispiele kommen nicht selten vor und zeigen sehr deutlich, wo man noch Optimierungspotenzial hat.

Candidate Quality Score: Man kann auch eine Candidate Quality Score vergleichen, also das Verhältnis von guten Kandidaten zu allen Kandidaten. Dieser Wert kann ein gutes Steuerungsinstrument für den eigenen Recruitingmix sein und in der Kombination mit der absoluten Anzahl an passenden Kandidaten ein guter Indikator für Handlungsempfehlungen.

CQ Score = Anzahl der passenden Kandidaten / Anzahl aller Kandidaten * 100

0 (schlechtester Wert) – 100 (bester Wert)

Wichtig: Es gibt hier meiner Meinung nach keinen absoluten Wert, den ich empfehlen kann. Ich würde vielmehr versuchen, den Wert als Indikator zu nutzen, um zu sehen, wo ich gerade relativ liege.

  • Beispiel: Wenn ich oben links in der Matrix bin, bedeutet dies, dass ich einen sehr engen Funnel habe. Das kann zu meiner Strategie passen. Sollte ich aber eigentlich das Ziel haben, einen weiten Funnel zu haben, dann hilft mir diese Indikation dabei, zu erkennen, dass hier etwas schief läuft.

Je nach Anforderung im Profil kann so ein Wert aber unterschiedlich ausfallen. Habe ich eine sehr niedrige Anforderung, kann ein Wert ohne viel Aufwand bei 40-50 liegen. Habe ich sehr hohe Anforderungen kann ein Wert als Ausgangswert auch unter 10 liegen.

Je nachdem, wo man sich befindet, gibt es unterschiedliche Ansätze, was man empfehlen kann. Die Klassiker sieht man hier:

Meine 5 Praxistipps

  1. Klare Definitionen: Nutzt eine einheitliche und klare Definition und macht diese intern transparent.
  2. Prozessbetrachtung zum Start: Startet am einfachsten mit der Analyse nach Prozesschritt „Weiterleitung an Fachbereich“. Damit habt ihr im Recruiting die Hoheit über die Mess-Qualität.
  3. Auch auf die Kanäle schauen: Neben einer allübergreifenden Betrachtung ist es auch sinnvoll, wenn man sich CQ einzelner Kanäle miteinander vergleicht.
  4. Veränderungen beachten: Sollten sich Veränderungen in Prozessen oder Anforderungen ergeben, ist es wichtig, diese zu erfassen. Im Zweifel machen es solche Veränderungen schwieriger, wenn ihr Dinge miteinander vergleichen wollt.
  5. Kalibrierung: Kalibriert regelmäßig die Entscheidungen von Recruiting und Hiring Manager miteinander und auch die Entscheidungen innerhalb des Recruitings miteinander. Das sollte eigentlich standard sein, wird aber häufig vergessen.

Zusammenfassung:

Eine valide Aussage über die Qualität der Bewerbungen machen zu können ist absolutes Basis-Handwerkszeug im Recruiting. Wer dazu nicht in der Lage ist, sollte dies schleunigst ändern. Die Einführung einer CQ-Kennzahl schafft Aufmerksamkeit und Verbindlichkeit für das Thema. Damit kann man dann an Kampagnen oder ggf. auch internen Prozessen arbeiten.

Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Deepdive Recruiting Kennzahlen“:

Teil 1: Time-to-Hire

Teil 2: Candidate Satisfaction

Teil 3: Candidate Quality