Es gibt wenig Bereiche im Recruiting, wo auf Grund von Bequemlichkeit, Unsicherheit oder Halbwissen so viel Potenzial verschenkt wird, wie beim Thema Feedback an Kandidatinnen und Kandidaten. Wir wissen, dass das Ergebnis des Auswahlprozesses die Candidate Experience stark beeinflusst – also Personen, die eine Absage bekommen haben, im Nachhinein ein tendenziell negativeres Bild vom Arbeitgeber haben, als Personen, die keine Absage bekommen haben. Ein professionelles und strukturiertes Feedback ist eine der wenigen Möglichkeiten, hier gegenzuwirken.

Aus eigener Erfahrung kann ich hunderte Beispiele von Bewerbern geben, denen ich abgesagt habe und sehr detailliertes Feedback gegeben habe. Am Ende des Tages ist das Ergebnis immer das gleiche gewesen: Nicht Wut, nicht (nur) Frust, kein „Ich werde euch verklagen“ – sondern Dankbarkeit, weil Feedback so selten vorkommt. Eigentlich sollte ich dankbar sein, dass es so wenige Arbeitgeber gibt, die in irgendeiner Form Feedback geben. Denn dadurch ist es für diejenigen, die regelmäßig Feedback geben, langfristig viel einfacher ist auf dem Arbeitsmarkt. Nicht vergessen: Eine negative Candidate Experience schadet langfristig, wie man einfach durchrechnen kann.

Insbesondere bei digitalen Auswahlverfahren sollte es doch tools und Automatismen geben, die hier helfen. Tools und Lösungen gibt es – trotzdem sind Arbeitgeber immer noch zögerlich. Heute habe ich das außerordentliche Vergnügen mit einem Verfechter für direktes und unmittelbares Feedback im Recruiting: Harald Ackerschott, den ich vor rund 2 Jahren kennenlernen durfte.

Tim Verhoeven: Lieber Harald, was verbindet dich mit dem Thema Eignungsdiagnostik?

Harald Ackerschott: Eignungsdiagnostik ist ein Standbein von mir, seit ich als Psychologe arbeite. Wir haben uns in unserem Team in den ersten 30 Jahren immer auch mit ganz anderen vielfältigen Themen befasst und Lösungen erarbeitet. Immer wenn es um den Menschen geht, dann liefert die Psychologie Methoden und Lösungsansätze. So haben wir geforscht und beraten zu Fragestellungen wie:

  • Kann in Berlin eine fahrerlose U-Bahn funktionieren?
  • Wie finden Besucher nach einem anstrengenden Messebesuch ihr Auto auf dem Parkplatz wieder? Das war natürlich bevor es dazu eine App gab. 
  • Wie organisiere und leite ich Teams, an deren Arbeit besonders hohe Anforderungen in Bezug auf Zuverlässigkeit und Sicherheit gestellt werden und wie erkenne ich frühzeitig, wenn etwas in die falsche Richtung geht? 

Die Eignungsdiagnostik war immer, auch bei unseren bunten Projekten eine wichtige Perspektive, weil wir dadurch die Unterschiede zwischen Menschen viel besser verstehen konnten als Forscher oder Berater, die einfach nur auf die Frage schauen und dann eine Lösung suchen. Wir wussten immer, dass es DIE EINE Lösung oft gar nicht gibt. Jedenfalls nicht in der Führung oder der Organisation von Zusammenarbeit.  

Wir haben dabei am Anfang off-the-shelf-Tests genutzt und lange Jahre auch mit Jobfidence und im Jobfindence-Netzwerk gearbeitet. Als wir auf Wunsch unserer international agierenden Kunden online gingen, haben wir uns daran gesetzt, systematisch zu erfassen, was das Beste war, dass wir kennen gelernt hatten. Mit Prof. Schmidt, meinem Co-Autor beim DIN Kommentar, der auch ein Freund ist, haben wir überlegt, was wir noch dazu entwickeln müssen und wollen und dann den Scope des abcÎ definiert und entwickelt.

In der Auseinandersetzung mit dem Thema Eignungsdiagnostik als Dienstleister hatten wir schon früh begriffen, dass das ein sehr asymmetrischer Markt ist. Viele Nutzer wussten früher gar nicht, was ihnen für Unsinn angedreht wurde, und daher habe ich in den Neunzigern persönlich von Anfang an mit an der DIN 33430 geschrieben. Ich hatte sie auch mit initiiert und vor dem vorzeitigen Aus gerettet, aber wie es zur DIN 33430 gekommen ist und warum sie fast verhindert wurde, das eine andere Geschichte.  

Tim: Du hast über das Thema ‚Instant Feedback‘ vor kurzem geschrieben. Was genau verbirgt sich hinter dem Thema?

Harald: Eignungsdiagnostik haben wir schon vor dem Internet und Online Assessments ganz persönlich face-to-face gemacht. Dabei hat Feedback von Anfang an eine große Rolle gespielt. 

Weißt Du Tim, die Beziehung zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ist in diesen Situationen immer eine ganz besondere. Da sitzen Menschen vor Dir, Führungskräfte, Menschen mit zum Teil langjähriger Berufserfahrung aber auch Berufseinsteiger, High Potentials bis zur AZUBI Bewerberin. Gerade bei den Einstiegspositionen sind das nicht selten MiKis oder Kukis  (Mitarbeiter- oder Kundenkinder), die also eine Beziehung zu jemandem haben, die oder der wichtig für das Unternehmen ist.

Alle diese Menschen zeigen Dir etwas von sich, das über Small Talk oder auch über ein intensives Interview hinausgeht. Sie bearbeiten Aufgaben in einem psychologischen Messverfahren, für das Du lizensiert bist, zu dem Du trainiert worden bist oder das Du sogar selbst konstruiert hast. Über das Du jedenfalls unheimlich viel Wissen hast. Und haben sie gar keins. Gar keins. Sie machen das vielleicht sogar zum ersten Mal in ihrem Leben. Trotzdem vertrauen sie Dir, weil Du ihnen vorher den Nutzen, den das  auch für sie hat, erklärst. Dass es um sie geht, um ihre Zukunft. Dass das Assessment für sie eine zusätzliche Sicherheit bringt, ob sie in dem neuen Beruf, in der Rolle um die es geht oder in der Firma, von denen vielleicht ihr Onkel so geschwärmt hat, dass das ein toller Laden ist, eine Chance haben. Aber auch über die Organisation und ihre wirklichen Aufgaben wissen sie wenig. Ein paar Anekdoten, eine Stellenanzeige, vielleicht eine Präsentation vom Personalchef. Oder ein mehr oder weniger die Tatsachen treffender Sales Pitch eines Headhunters. Du kennst sicher diesen ewigen Joke, der mit den Worten des Teufels endet: “Yesterday we were recruiting you, today you‘re staff!” Und auf der anderen Seite hast Du eine ausführliche Anforderungsanalyse gemacht und kennst die Anforderungen der Stelle in dem Moment viel besser.

Das Assessment mit einem validen psychometrischen Verfahren ist für beide Seiten der sicherste Weg, die Zukunft abzuschätzen. Ob die oder der Neue im Unternehmen den Beitrag leistet, der erwartet wird UND ob die Organisation genau der Rahmen für einen Menschen ist, der zu ihr oder ihm passt, in dem sie oder er erfolgreich ist UND gerne arbeitet. Aber es ist auch das Instrument, das am wenigsten oberflächlich ist. Du zeigst etwas von Dir. 

Da ist es für uns selbstverständlich, jetzt, da wir mit unserem Verfahren online sind und uns auch als Online Assessment Lösung definieren, dass wir unsere Menschlichkeit in der online Welt erhalten wollen. Auch wenn es vielleicht mehr Aufwand bedeutet.

Das Feedback zum abcÎ nennen wir „instant feedback“, weil jede Teilnehmerin, jeder Teilnehmer sich das direkt downloaden kann, unmittelbar im Anschluss an die Online Session. 

Tim: Wie wichtig ist das Thema – was sagen die Zahlen dazu?

Harald: Wichtig finde ich es erst einmal persönlich, aus den oben genannten Gründen.

Weißt Du Tim, nicht bei allem im Assessment geht es um die Beurteilung der Eignung. Validität ist wichtig und Aussagekraft, aber das ist nicht alles. Der Umgang, der Respekt voreinander sind zentrale Elemente, die oft vergessen werden. Die Candidate Experience, das aufeinander zugehen, das Zusammenkommen oder das nicht Zusammenkommen danach, nach einem Assessment, nach einem Interview, das sind Situationen, die für die einzelne Person viel intensiver sind, als das meist für das Unternehmen der Fall ist. Das Feedback, ganz wichtig, ist gegenseitig. Wir haben bis jetzt nur über das Feedback gesprochen, das eine Teilnehmerin, ein Teilnehmer erhält. Wichtig ist, dass sie oder er auch eins geben kann.

Auch wenn ich es erst einmal persönlich wichtig finde, sagen die Zahlen, dass es auch funktioniert. Die Zahlen sind eindeutig:

Die erste finde ich sogar dramatisch: Ich kenne keine andere Assessment Lösung, die für die Auswahl eingesetzt wird (in Abgrenzung zu Testportalen für die Selbsterkenntnis), die jeder Teilnehmerin und jedem Teilnehmer direkt Zugriff auf ein und Gelegenheit zum Feedback gibt. Da ist die Zahl bisher “EINS”. Oder Null, wenn Du unsere einzige Ausnahme als Kriterium nimmst: Wir haben auch Beraterinnen und Berater, mit denen wir zusammenarbeiten. Die haben die Möglichkeit das instant Feedback durch ein persönliches Feedback zu ersetzen, das sie dann zeitversetzt (also weniger schnell) aber persönlich (also differenzierter und auch dialogischer) erbringen. 

Einige andere Systeme, dazu habe ich keine Zahl, könnten das auch leisten, aber sie überlassen es den Auftraggebern, ob sie die Zusatzleistung „Feedback” abrufen (bzw. bei manchen auch kaufen) oder nicht. Wir hatten auch einige Partner, mit denen wir vor der Einführung gesprochen haben, die sich Sorgen machten, was es für ein Interview bedeutet, wenn auch das Gegenüber schon sein eigenes Ergebnis kennt und wie die einstellende Organisation das interpretiert. Aber wir haben das gemeinsam gelöst und jetzt gibt es nur noch die eine Lösung (hatte ich oben gesagt, dass es die eine Lösung oft gar nicht gibt 😀 ?), dass jeder Teilnehmerin und jedem Teilnehmer das Feedback und die Gelegenheit Feedback zu geben angeboten wird. Aber es wird niemand gezwungen, das Ergebnis abzurufen…

Die Zahlen zum Abruf des Instant Feedback beim abcΠsprechen eine eindeutige Sprache: 

94,4% aller Teilnehmenden am abcÎ nutzen instant feedback. Nur 5,6% nutzen das Angebot nicht.

Von denen, die die Feedbackfunktion nutzen, schreiben uns 20% ihrerseits ein individuelles Feedback in einem Freitextfeld.

Von denen, die kein Feedback wünschen, fallen die IT Positionen auf: 45% derjenigen, die kein Feedback abrufen, sind aus IT Berufen, die anderen 55% sind aus allen anderen Berufsgruppen gemeinsam. Die IT Berufe machen aber insgesamt nur 22% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus. Umgekehrt, von den Bewerberinnen und Bewerbern auf IT Positionen nutzen auch 90,5% die Feedbackfunktion.

Ich persönlich denke, dass die Feedbackfunktion auch ein Grund für unsere geringe Abbrecher-Quote ist. Sie beträgt nur 3,3% und das bei einem Verfahren, das in der default Konfiguration etwas mehr als eine Stunde dauert.  In der Führungsvariante dauert die Bearbeitung des abcÎ sogar mindestens 80 Minuten. 

Tim: Warum sind ähnliche Lösungen bisher noch nicht wo weit verbreitet?

Harald: Ich glaube, dass die meisten unserer Marktbegleitenden, die online Assessments in einem relevanten Ausmaß durchführen, eher durch Technologie getrieben sind. Auch die Debatte um AI zeigt das. Viele der Nutzerinnen und Nutzer in HR spekulieren über die Menschen, machen sich Gedanken über Millennials oder Generationen, die anders ticken und stellen häufig nicht die einfachen Fragen: Wie möchte ich, dass mit mir umgegangen wird? Oder sie sind komplett gegen alles was psychometrisches Verfahren heißt und sehen den Nutzen nicht.

Dazu noch eine Zahl:
65,5% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer am abcÎ haben zuvor noch nie an einem online-Assessment, einem e-Assessment oder an einer anderen Form von psychometrischem Verfahren der Eignungsdiagnostik teilgenommen.

Ich finde diese Zahl ganz schön hoch, da die Menschen sich ja in der Regel nicht nur bei einem Unternehmen bewerben. Aber sie zeigt natürlich auch das enorme Potenzial im Markt, das für alle seriösen Anbieter hier noch besteht. Und da unsere Wachstumsstrategie ist, Unternehmen zu gewinnen, die noch gar keine psychometrischen Verfahren im Einsatz haben, liegt darin auch eine große Chance.

Tim: Sind Recruiter hierzulande eher Feedback-faul?

Harald: Würde ich so nicht unbedingt sagen, “faul“: Das AGG hat natürlich viele verunsichert und die Verrechtlichung von Beziehungen ist auch in der Arbeit zu beobachten. Viele kennen das einfach nicht gut, besonders, wenn es sich um Feedback handelt, das nicht offensichtlich “ich habe gute Nachrichten“ bedeutet. Viele Recruiter meinen, eine Absage sei etwas Negatives. Das ist aber nicht so. Jemandem eine Stelle anzubieten, zu der man selbst nicht 100% sicher ist, dass sie oder er das wirklich packen und mein Unternehmen die richtige Umgebung ist damit sich die oder der Neue gut entwickeln kann, das ist etwas Negatives.

Einer meiner engen Vertrauten, den ich anrufe, wenn ich Schwierigkeiten habe, politische Zusammenhänge zu verstehen und mir Hintergründe erklären lasse, den habe ich vor vielen Jahren kennen gelernt als er sich bei mir beworben hat und ich ihm nach dem psychometrischen Assessment die Ablehnung erklärt habe. Dieses Gespräch hat uns beiden eine sehr gute Basis gegeben für unser  Vertrauen ineinander. 

Das ist ein wichtiges Thema auch bei unseren Partnern: Training für Absagen. Das ist Kerngeschäft für Recruiter. Paul Maxim zitiere ich immer gern mit seinem Satz: „Recruiter are in the rejection business.” Bei den meisten Firmen gibt es immer noch mehr Bewerberinnen und Bewerber als offene Stellen. Daher sind Absagen Kerngeschäft. Und dazu gehört immer auch Feedback. Sonst ist das wie Schlussmachen per SMS. 

Tim: Vielen Dank, Harald, für das tolle Interview und die tollen Veranschaulichungen.


Ihr seht – Feedback ist kein Hexenwerk. Natürlich ist dies hier nicht der einzige Anbieter, der vergleichbare Lösungen anbietet. Nutzt dies bitte vor allem als Anregung und Motivation, in eurem Unternehmen mehr Feedback für Bewerber und Bewerberinnen einzuführen. Der Mehrwert ist immens – für euch als Arbeitgeber und eure Bewerberinnen und Bewerber! Also auf gehts: Hopp Hopp!


Über meinen Interview-Partner:

Harald Ackerschott ist Architekt des psychometrischen Assessment Systems abcÎ. Er zählt zu den führenden Experten der Eignungsdiagnostik und psychologischen Beurteilung. Seit mehr als 30 Jahren unterstützt er Unternehmen jeder Größenordnung wie auch Organisationen des öffentlichen Sektors bei der Personalauswahl und der Entwicklung von Potenzialen.
 In dieser Zeit hat er mit seinem Team im Rahmen von Gruppen-Assessments und Einzelverfahren rund 100.000 Bewerber*innen persönlich vor Ort getroffen, getestet, und dazu qualifiziertes Feedback gegeben und erhalten.

Harald Ackerschott ist Obmann des Arbeitsausschusses zum Personalmanagement im Deutschen Institut für Normung und einer der Initiatoren und Mitautor der DIN 33430 zur Personalauswahl und Eignungsdiagnostik. Bei der internationalen Standardisierungsorganisation ISO leitet er die Arbeitsgruppe „Recruitment“ im Technical Committee 260 “Human Resource Management” und verantwortet die Überarbeitung der Qualitätsstandards ISO 10667 Teil eins und zwei für „Assessment Service Delivery“ sowie der ISO 30405, Guidelines on Recruitment.
Seit über 30 Jahren berät, forscht, publiziert und spricht er u. a. zu seinen Kernthemen der Qualitätssicherung in der Personalauswahl, zu Chancengleichheit und Candidate Experience.