Vor knapp 2 Wochen wurde eine neue Studie zum Thema Candidate Experience in Deutschland von meta HR, Stellenanzeigen.de und Prof. Wald der HTWK Leipzig veröffentlicht, über welche schon ausgiebig berichtet wurde (hier auch als kostenloser Download verfügbar).

Heute interviewe ich einen der Initiatoren, Christoph Athanas (Geschäftsführer von meta HR), um mich tiefergehender mit den Studienergebnissen auseinanderzusetzen. Dies freut mich insbesondere, da Christoph einer der wenigen deutschsprachigen Experten zum Thema Candidate Experience ist, mit denen ich bisher noch kein Interview o.ä. durchgeführt habe.

Tim Verhoeven: Hallo Christoph, die Ergebnisse deiner Candidate Experience Studie wurden kürzlich veröffentlicht. Falls es doch noch Leser meines Blogs geben sollte, welche die Studie noch nicht kennen: Fasse bitte die wichtigsten Ergebnisse kurz zusammen.

Christoph Athanas: Hallo Tim, das mache ich gern: Unsere Candidate Experience Studie hat konkrete Bewerbungserlebnisse von 1379 Personen untersucht. Wir konnten darin Candidate Experience als eine Form der Vertrauensbeziehung zwischen rekrutierendem Unternehmen und dem Bewerber erkennen. Diese Vertrauensbeziehung muss aufgebaut und erhalten werden um eine positive Kandidatenerfahrung zu schaffen.

Dies geschieht in drei Dimensionen:

  1. Klarheit und Integrität in Kommunikation und Handeln der Rekrutierungsorganisation
  2. Augenhöhe und Wohlwollen gegenüber dem Bewerber
  3. Ergebnisorientierung, d.h. Aktivität hin zur Einstellungsentscheidung.

Diese drei Dimensionen sind alle bedeutend, wobei Augenhöhe und Wohlwollen, also die Wertschätzung für den Bewerber, die Königsdisziplin ist. Als besonders wichtige Komponente haben wir deshalb auch feststellen können, dass das Auftreten und Verhalten der Unternehmensvertreter hierzu extrem erfolgskritisch ist. Fast immer wo final eine positive Kandidatenerfahrung entstanden ist, wurde auch jener Aspekt positiv beurteilt.

Im Rahmen unserer Studie haben wir also Faktoren für oder wider einer positiven Kandidatenerfahrung ermitteln können und außerdem den Einfluss der Candidate Experience auf das Arbeitgeberimage hinterfragt. Hier zeigt sich, dass dieses unter schlechten Bewerbererfahrungen stark leidet, während es bei positiver Cand Ex selbst dann keinen Schaden nimmt, wenn der Bewerber abgelehnt wurde. Dies bekommt besondere Brisanz, da vier von fünf Bewerbern ihre mit dem jeweiligen Arbeitgeber gemachten Erfahrungen anderen mitteilen. Natürlich haben wir außerdem jede Menge interessanter und für Unternehme nützlicher Daten ermitteln können in welchen Phasen einer Bewerbung welche Aspekte für die Candidate Experience prägend sind und wo Bewerber welche Erwartungen haben. Wer mehr wissen will, sollte die Studie bei uns kostenfrei downloaden.

Tim Verhoeven:  Gibt es bei deinen Ergebnissen demografische Unterschiede bei Fragen zur Candidate Experience?

Christoph Athanas: Allerdings! Es gibt eine Reihe Ergebnisse, welche sich verändern, wenn man sich unterschiedliche Altersgruppen ansieht. Besonders betrifft das die Gruppe der unter 30-Jährigen. Ein Beispiel dafür, quasi als der Einstieg in jede Candidate Experience, ist die Jobsuche und Arbeitgeberrecherche: Die unter 30-Jährigen nutzen weit stärker Google dafür. Die Bewerber unter Dreißig legen auch viel mehr Wert auf die Webseite des Arbeitgebers und sind greifen stärker auf Job-Empfehlungen durch Freunde und Bekannte zurück. Gleichfalls haben Print-Erzeugnisse für diese Gruppe nur noch eine begrenzte Attraktivität bei der Jobsuche. Nur insgesamt 16% von ihnen geben an diesen Kanal immer oder meistens zur Stellen- und Arbeitgeberrecherche zu verwenden.

Es gibt allerdings auch recht viele stabile Ergebnisse, wo das Alter keine Rolle spielt. Bewerber egal welchen Alters haben bspw. ganz ähnliche Informationsprioritäten im Hinblick auf Jobs. Die grundsätzliche Aussage unserer Studie über die Notwendigkeit einer ausbalancierten Vertrauensbeziehung vom Unternehmen zum Kandidaten gilt ebenfalls ohne Alterseinschränkung.

Tim Verhoeven:Ich habe in meinem Blog ja schon über die eine oder andere Studie berichtet – es gab jedoch noch nicht die in deiner Studie gezeigten Zahlen aus Deutschland. Wie bewertest du deine Ergebnisse im Vergleich zu internationalen Studienergebnissen? Sind die Erwartungen an Bewerbungsprozesse doch ähnlicher als vermutet?

Christoph Athanas: Nun ja, ein paar grundsätzliche Erwartungen an Bewerbungsprozesse sind vermutlich so generell identisch, dass dies nicht wundert. Anders gesagt, jeder wartet im Zweifel lieber kürzer als länger. Dass wir bei solchen allgemeinen Dingen Ähnlichkeiten zu ausländischen Studien haben wundert mich nicht. Aber sobald es konkret wird, sind viele Zahlen oft schlecht vergleichbar. Das liegt an der Fragestellung im Detail oder aber an der Erhebungsmethodik. Aber Du hast gesagt, zur Methodik kommt noch eine Frage, dann gehe ich da noch genauer drauf ein. Vielleicht noch etwas zu ein paar gut vergleichbaren Ergebnissen. Zum Beispiel haben wir ermittelt, dass 80% aller Bewerber Freunden und Bekannten von ihrem Bewerbungserlebnis erzählen. Eine fast identische Zahl gibt meines Wissens aus US- bzw. internationalen Quellen. Allerdings geben dort rund 50% an dafür auch Social Media zu nutzen. In Deutschland tun das laut unserer Studie nur halb so viele.

Tim Verhoeven: Wie du selbst geschrieben hast – diese Studie ist die erste, die sich explizit mit der Candidate Experience von Bewerbern in Deutschland auseinandergesetzt hat, mit Ausnahme der Dissertation von Dr. Jochen Kootz. Woran denkst du liegt es, dass bisher das Thema Candidate Experience in Deutschland stiefmütterlich behandelt wurde?

Christoph Athanas: Natürlich denke ich, dass das Thema eine höhere Wertschätzung verdient. Andererseits ist Candidate Experience als strukturiertes Konzept in Deutschland noch recht neu. Selbst HR-Blogger wie Du und ich schreiben in ihren Blogs meist erst seit 2012 regelmäßiger darüber. Insofern: Wir haben den Anfang gemacht und jetzt gibt es eben die erste umfangreiche Studie explizit zu Candidate Experience. Das hilft hoffentlich und bringt das Thema nach vorn.

„86 % aller Bewerber wurden nach ihrem Bewerbungsprozess nicht nach ihrem Feedback gefragt“
Tim Verhoeven: Eine meiner persönlichen Lieblingszahlen aus deiner Studie: 86 % aller Bewerber wurden nach ihrem Bewerbungsprozess nicht nach einem Feedback gefragt. Ich hätte mit einer noch höheren Quote gerechnet. Warum verschließen deiner Erfahrung nach Arbeitgeber die Augen vor solch wichtigen Informationen?

Christoph Athanas: In der Tat eine schlimme Zahl. Nach meiner Ansicht denken und handeln viele Unternehmen noch zu selbstbezogen im Recruiting. Daraus folgt: Die Vakanzen stehen so sehr im Mittelpunkt und nicht die Bewerber, welche diese ja füllen könnten. Daher sind viele Unternehmen bisher nicht auf die Idee gekommen Bewerber nach deren Feedback zu fragen. Das traditionelle Denken á la „Die wollen doch was von uns“ steht dem entgegen. Außerdem bedeutet Bewerber zu befragen etwas mehr Aufwand. Das scheuen viele, weil sie eben solche Feedbacks noch nicht genügend als wertvoll ansehen.

Tim Verhoeven: Eine methodische Frage – Die Studie basiert auf Fragen, welche sich auf das letzte Bewerbungserlebnis beziehen. Dies kann unter Umständen zu verzerrten Wahrnehmungen führen – wie seid Ihr mit dieser Thematik umgegangen?

Prof. Wald der HTWK Leipzig

Christoph Athanas: Die von meinem Unternehmen, meta HR GmbH, und Stellenanzeigen.de herausgegebenen und von Prof. Wald (HTWK Leipzig) wissenschaftlich begleitete Studie hat 1379 Personen nach ihren jeweils letzten abgeschlossenen Bewerbungserlebnissen befragt, unabhängig davon, wie diese Bewerbung ausgegangen ist. Dazu haben wir auch noch Erwartungen abgefragt. Verzerrungen von Wahrnehmungen können immer auftreten. Allerdings ist gerade unsere Methodik, nämlich phänomenologisch vorzugehen und konkrete einzelne Bewerbungsverfahren nachzuvollziehen, viel aussagekräftiger, als was bisher sonst dazu gemacht wurde.
Andere Befragungen haben nur generalisierte Bewerbererfahrungen oder sogar nur allgemeine Erwartungen abgefragt. Damit vermischen sich jedoch Eindrücke aus verschiedenen Bewerbungsprozessen. Jede Candidate Experience entsteht aber je Bewerbungsprozess neu und ist einzeln zu betrachten. Daher sind diese Befragungen sicher informativ, aber bisher kann im deutschsprachigen Raum nur unsere Untersuchung genau nachvollziehen welche Elemente einer Bewerbererfahrung wie genau gewirkt haben. Was hat der Bewerber konkret erlebt und wie beurteilt er das? Wir können das entsprechend filtern und sehen, welche Aspekte wie bedeutend sind für die Generierung einer positiven Candidate Experience.

Tim Verhoeven: Wie siehst du es, dass der Begriff „Candidate Experience“ mittlerweile schon fast inflationär gebraucht wird und in den letzten Monaten viele selbsternannte Experten für das Thema aus dem Boden sprießen?

Christoph Athanas: Das Thema ist absolut ernst zu nehmen. Aber klar, Candidate Experience ist auch ein Trendthema. Da wollen vermutlich einige aufspringen. Ich schätze allerdings, wer sich mit der Materie ernsthaft auseinandersetzt wird sehr schnell sehen, wo Substanz und echte Expertise ist und wo nur Buzz-Words. Wir zumindest haben mit unserer intensiven Studie unsere Hausaufgaben gemacht. Auf Basis dieser Fakten zu stehen hilft meta HR bzw. mir natürlich glaubwürdig und kompetent über Candidate Experience sprechen zu können. Das dürfte nicht verkehrt sein 😉

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Wer sich noch mehr Eindrücke über die Studie verschaffen möchte, kann sie HIER kostenlos downloaden oder Berichterstattungen auf folgenden Seiten anschauen:

Wer noch mehr über das Thema Candidate Experience wissen möchte, kann sich hier meine Übersicht über aktuelle Studien und Artikel anschauen.