Das Jahr neigt sich dem Ende zu – nur noch wenige Stunden – und damit auch die Blogger-Challenge „Jahr der Kandidaten„. Nahezu jeder Blogger mit Rang und Namen hat sich über das „Mode-Thema“ Candidate Experience ausgetobt und eine sehr stattliche Sammlung an Artikeln ist in diesem Zusammenhang entstanden. Gerne wird sich dem Thema momentan mit der Frage genähert, ob Candidate Experience nur ein Hype bzw. eine Modeerscheinung ist oder vielleicht nur alte Wein in neuen Schläuchen. Die Meinungen gehen dazu durchaus auseinander.


Als ich mich vor über 6 Jahren das erste mal explizit mit dem Thema Candidate Experience auseinandergesetzt habe, war es für mich ein Blick über den Tellerrand, denn das Thema war in Deutschland noch nicht angekommen und keinerlei theoretische Grundlage vorhanden. Damals habe ich mich an anderen Disziplinen (Marketing, Produktmanagement, Dienstleistungsmanagement, CRM etc.) orientiert, um dadurch Rückschlüsse für das Thema Candidate Experience zu ziehen.

Diesen Blick über den Tellerrand werde ich auch hier und heute werfen – denn er wird gerne bei der Diskussion um Candidate Experience vernachlässigt.

Vor einem Jahr fragte man sich noch, was dieses „Candy-Date“ überhaupt sei und mittlerweile ist fast alles und jeder irgendwie total Candidate Experience. Und wenn nicht, dann zumindest Recruiter Experience. Nur Volkswagen setzte noch einen drauf – und hat das Thema „Women Experience“ im Recruiting Kontext in den Raum geworfen. Was hat es mit diesen „Experience-Themen“ auf sich und woher kommt das alles?

Experience What?

Überall geht es um die Experience (zu deutsch u.a. übersetzt mit „Erfahrung“ oder „Erlebnis“), welche der heilige Gral zu sein scheint – nicht nur im Personalbereich. Meiner Einschätzung nach sind die verschiedenen Experience-Modelle nicht trennscharf von einander zu betrachten, sondern überchneiden sich teilweise.

Was haben die verschiedenen Modelle u.a. gemeinsam:

1.) Alle Experience-Modelle haben den Fokus auf die Wahrnehmung/Erfahrung des Konsumenten/Rezipienten und versuchen dessen Blickinkel zu verstehen.

2.) Alle Experience-Modelle analysieren diese Wahrnehmung/Erfahrung kleinteilig an verschiedenen definierten Punkten – sogenannten Touchpoints. Diese werden häufig in verschiedene Phasen geclustert um die Vielzahl an Touchpoints zu systematisieren. Hier ein Beispiel des von mir entwickelten 6-Phasen-Modells der Candidate Experience.

3.) Alle Experience-Modelle betrachten die Experience ganzheitlich. Häufig wird dies in Form eines Journey-Mappings gemacht, also in einer systematischen Betrachtung aller Touchpoints nach zeitlicher / kausaler Reihen-/Rangfolge. Hier ein Beispiel eines Candidate Journey Mappings nach meinem 6-Phasen-Modell.

Hier eine Übersicht über diverse Experience-Modelle:

User Experience (nicht zu verwechseln mit Usability) heisst das Zaberwort bei Webseiten oder Apps (oder anderen meist digitalen Anwendungen).

Bei der Customer Experience hingegen liegt der Fokus auf dem Kundenerlebnis – diese Theorie ist die Grundlage der meisten Experience-Modelle und ist auch wissenschaftlich relativ intensiv bearbeitet worden.

Im Dienstleistungsgewerbe wird manchmal dieser Begriff mehr oder weniger deckungsgleich auch (Customer) Service Experience genannt.

Wird hingegen die Wahrnehmung von Markenauftritten bzw. Markenerlebnissen betrachtet, spricht man häufig von der Brand Experience. Dieses Thema wird auch hin und wieder im Zusammenhang mit dem Thema Candidate Experience genutzt.

Aber auch innerhalb des HR-Bereiches gibt es ein paar verschiedene Ansätze, die über das bisher in Deutschland bekannte Candidate Experience Management und Recruiter Experience Management hinaus gehen:

Employee Experience:

Beim Thema Employee Experience steht – wie es der Name vermuten lässt – der Mitarbeiter im Fokus. In einigen Theorien gehen die Themen Employee Experience und Candidate Experiene ineinander über (siehe auch die untenstehende Präsentation). Das macht insofern Sinn, da aus Bewerbern Mitarbeiter werden und natürlich in den meisten Fällen aus Mitarbeitern irgendwann auch wieder Bewerber. Auch in meinem 6-Phasen-Modell der Candidate Experience ist die Employee Experience in Phase 6 „Bindung“ abgebildet.

Man kann das Thema Employee Experience aber auch komplett losgelöst vom Thema Candidate Experience betrachten und nur den Zyklus des Mitarbeiter-Seins fokussieren.

Hiring Manager Experience:

Im Gegensatz zur oben genannten Recruiter Experience geht es bei der Hiring Manager Experience nicht um die Personaler, die rekutieren, sondern um die einstellenden Manager, welche in der Regel auch die Vorstellungsgespräche durchführen und in der Regel keine HRler sind. Ein schöner Artikel zu diesem Thema wurde unter der Überschrift
„Why The Hiring Manager Experience Is More Important Than the Candidate Experience“ auf Eremedia.com veröffentlicht.

Letztenendes ist die Zufriedenheit der Hiring Manager ein entscheidenes Kriterium für einen erfolgreichen Recruiting-Prozess.

Da drängt sich mir die Frage seit einiger Zeit auf, warum in Deutschland noch niemand auf die Idee kam, sich dem Thema „Hiring Manager Experience“ zu widmen. Aber ich bin mir sicher, dass im Neuen Jahr auch dieses Thema so langsam Fahrt aufnehmen wird – mit freundlicher Unterstüzung von mir 🙂

In diesem Sinne: 2015 war ein sensationelles und ereignisreiches Jahr. Das Thema Candidate Experience hat enorm Fahrt aufgenommen und ich bin sicher, dass es auch in den kommenden Jahren immer mehr in die Köpfe von Personalern und sonstigen Entscheidern kommen wird. Im Januar wird endlich auch mein Buch zu diesem Thema in die Läden kommen. Dazu dann mehr hier! Also auf ein tolles Jahr 2016!