Candidate Experience ist das Thema der letzten Jahre, welches am meisten Zuwachs an Aufmerksamkeit bekommen hat innerhalb der Recruiting-Community. Wurden erste Beiträge und Projekte von mir noch vor einigen Jahren belächelt, so kann ich heute durchaus behaupten, dass das Thema Einzug in nahezu jede gute Recruiting-Strategie gefunden hat und auch schon fester Bestandteil der Recruiting-Ausbildung an Hochschulen ist.

Hier möchte ich ein paar der relevantesten Informationen zusammenführen zu diesem Thema:

1. Woher kommt der Begriff?

2. Definition Candidate Experience

3. Candidate Journey

4. Wie misst man die Candidate Experience

5. Was hat Einfluss auf die Candidate Experience

Literatur

 

1. Woher kommt der Begriff?

Grundlage für die Begriffsdefinition von Candidate Experience und Candidate Experience Management ist der Begriff Customer Experience – also das Kundenerlebnis in Kauf- oder Dienstleistungsprozessen. Ein Definition dieses Begriffs bieten beispielsweise Meyer und Schwager:

Customer Experience (Meyer & Schwager, 2007, S. 2)

„Customer Experience is the internal and subjective response customer have to any direct or indirect contact with a company. Direct contact generally occurs in the course of purchase, use, and service and is usually initiated by the customer. Indirect contact most often involves unplanned encounters with representations of a company’s products, service, or brands and takes the form of word-of-mouth recommendations or criticisms, advertising, news reports, reviews, and so forth.”

Daneben gibt es noch die gängige Definition nach Stindl:

Customer Experience (Stindl, 2010, S. 4)

Customer Experience ist „die Summe der Kundenerlebnisse, wobei Erlebnisse auf der subjektiven Wahrnehmung des Kunden beruhen und durch direkte oder indirekte Kontakte mit einer Unternehmung hervorgerufen werden.“

Gemeinsam haben beide Definitionen, dass es sich um ein individuelles Erleben bzw eine subjektive Wahrnehmung handelt durch direkte und indirekte Kontakte und sich nicht nur auf den reinen Kauf- bzw. Konsumprozess beschränkt. Als ich mich 2009 das erste mal mit dem Thema Candidate Experience auseinandersetzen durfte, war dieser Begriff im deutschsprachigen Bereich noch in der Regel ungenutzt und unbekannt.

2. Definition: Candidate Experience

Abgeleitet von dieser Grundlage kann man eine Definition herleiten, die sich auf Recruiting bezieht:

„Candidate Experience bezeichnet den Gesamteindruck, den ein potenzieller Bewerber im Rahmen der Prozesse des Personalmarketings, des Recruitings und darüber hinaus vom potenziellen Arbeitgeber erhält. Es geht dabei um das individuelle Erleben in einem Bewerbungs- und Auswahlprozess an allen direkten und indirekten Kontaktpunkten mit dem Unternehmen.“ (Verhoeven, 2016, S. 12)

Diese Grundlage ist dann auch für den Begriff Candidate Experience Management anwendbar:

„Candidate Experience Management bezeichnet die aktive Gestaltung aller Kontaktpunkte des Bewerbers mit dem Unternehmen mit dem Ziel, einen positiven Gesamteindruck zu hinterlassen. Aus Sicht des Bewerbers als Kunde eines Unternehmens werden am Vorbild des Customer Experience Managements Systeme, Menschen und Prozesse schrittweise analysiert und interpretiert. Im Mittelpunkt steht das Erleben des Bewerbers. Weiterhin wird es mit der Sicht von außen möglich, zu verstehen, welche tatsächlichen Erwartungen an Prozesse des Personalmarketings, des Recruitings und darüber hinaus bestehen und wie diese am besten erfüllt werden können.“ (Verhoeven, 2016, S. 12 f.)

Ja nach Betrachtung gibt es verschiedene Varianten, die man die Canidate Experience in verschiedene Phasen aufteilen kann. Hier widmen wir uns dem 6-Phasen-Modell, welches einen sehr ganzheitlichen Ansatz hat – von der ersten Phase, der Anziehung, bis zur letzten Phase, der Bindung – dort wird dann die Erwartungshaltung mit der Realität verglichen (Verhoeven, 2012a). Dieses Modell basiert wie alle anderen relevanten Modelle auf den Grundlagen des AIDA-Modells (Lewis 1909).

3. Die Candidate Journey

Unter dem Begriff der Candidate Journey versteht man die Summe von Kontaktpunkten, die ein Kandidat mit einem Arbeitgeber hat. Dabei ist jeder Kontaktpunkt wichtig, da jeder Kontaktpunkt das Potenzial hat, einen Kandidaten zu frustrieren.

An jedem Kontaktpunkt gibt es drei Mögliche Reaktionen:

Positiv: Die Wahrscheinlichkeit für einen Abbruch des Bewerbungsprozesses nimmt ab.

Neutral: Die Wahrscheinlichkeit für einen Abbruch des Bewerbungsprozesses bleibt gleich.

Negativ: Die Wahrscheinlichkeit für einen Abbruch des Bewerbungsprozesses nimmt zu.

Ein einziger besonders negativ wahrgenommener Kontaktpunkt reicht schon aus und der Bewerber entscheidet sich gegen den potenziellen Arbeitgeber. Gleiches kann auch für die Summe an leicht negativen Kontaktpunkten gelten oder für den Mangel an positiven Kontaktpunkten.

Bei einem meiner ehemaligen Arbeitgeber haben wir eine Nullmessung der Candidate Experience durchgeführt. Wir haben an einer Vielzahl von ausgewählten Kontaktpunkten die Zufriedenheit unserer (potenziellen) Bewerber erfragt und diese dann in eine sogenannte Candidate Journey Map eingefügt. Diese ist die Visualisierung der durchschnittlichen Bewertungen der Candidate Experience an einzelnen Kontaktpunkten. Zur verdeutlichung folgt hier diese Candidate Journey Map.

4. Wie misst man Candidate Experience

Ich möchte hier nicht auf die Vielzahl von Messverfahren eingehen, die es theoretisch alle gibt und die abertausend Anbieter, die sich mit Umfragen und sonstigen Messungen beschäftigen. Grundsätzlich gilt: Wenn man wissen möchte, wie zufrieden seine Bewerber sind, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder befrage ich meine Bewerber oder ich beobachte das Verhalten meiner Bewerber. Beim Thema der Beobachtung des Bewerberverhaltens empfehle ich einen Blick in das Thema Recruiting Analytics. denn durch aktuelle Methoden im Bereich Web-Analytics kann man sehr viele Rückschlüsse ziehen.

Wenn man Bewerber befragen möchte, dann empfehle ich möglichst einfache und standardisierte Messverfahren, die auf der einen Seite viele Rückschlüsse ermöglichen und auf der anderen Seite so einfach zugänglich sind, dass hohe Teilnahmequoten entstehen. Mein Mittel der Wahl ist hierbei der sogenannte Net Promoter Score, den man adaptiert auf das Thema Recruiting auch Candidate Net Promoter Score nennt (Verhoeven, 2012b). Dieser Wert ist mittlerweile der am häufigsten vorkommende Messwert im Bereich Candidate Experience meiner Erfahrung nach. Das hilft dabei, wenn man die eigenen Messwerte mit anderen Unternehmen vergleichen möchte.

Vereinfacht ausgedrückt funktioniert das Vorgehen bei der Bereichnung des Candidate Net Promoter Score (CNPS) so: 

Dabei gilt es zu beachten, dass man den Candidate Net Promoter Score idealerweise normieren sollte. Was bedeutet das?

Der Candidate Net Promoter Score wird unter anderem stark beeinflusst von dem Endstatus der Bewerbung. Hat ein Bewerber eine Zusage bekommen, wird er durch das positive Erlebnis in der Retrospektive positiver über den gesamten Prozess denken, als ein Bewerber, der eine Absage bekommen hat. Ich empfehle daher mindestens die Unterteilung in folgende Cluster:

  • Zusage
  • Absage
  • Selbstabsage
  • Abgelehntes Angebot

Die Ergebnisse des CNPS unterscheiden sich ansonsten möglicherweise nur, weil es in einem Monat mehr Zusagen gab als in einem anderen Monat (Verhoeven 2019).

5. Was hat Einfluss auf die Candidate Experience

Wenn man erst einmal begonnen hat, seine Candidate Experience an verschiedenen Kontaktpunkten zu messen, dann wird man hoffentlich schnell analysieren, was konkret den meisten Einfluss auf die Candidate Experience hat. Bei einem meiner ehemaligen Arbeitgeber haben wir die Candidate Experience mittels Candidate Net Promoter Score erhoben. Daneben haben wir die Zufriedenheit mit verschiedenen Dimensionen, wie u.a. Geschwindigkeit, Professionalität, Transparenz gemessen.

Wenn man diese Daten hat, ist es relativ einfach, zu messen, welche einzelnen Messwerte einen besonders großen Einfluss auf die Candidate Experience haben, beispielsweise durch eine Korrelationsanalyse.

Ohne die Ergebnisse im Detail offen zu legen, gibt es zwei Ergebnisse, die ich besonders hervorheben möchte:

a) Je persönlicher ein Kontakt ist, desto größer der Einfluss:

Wir haben auch die Zufriedenheit mit verschiedenen Kontaktpunkten anlysiert, u.a. Online-Assessment, Telefoninterview, persönliches Interview, Assessment-Center. Dabei sah man eindeutig den Trend, dass Kontaktpunkte, die mehr persönlichen Kontakt haben (persönliches Interview, Assessment-Center) deutlich mehr Einfluss haben auf die Candidate Experience, als Kontaktpunkte, die weniger persönlichen Kontakt haben (Online-Assessment, Telefoninterview).

b) Geschwindigkeit ist wichtiger als alles andere:

Unsere Analyse ergab sehr klar, dass das Ergebnis der Candidate Net Promoter Scores stark mit der Zufriedenheit mit der Prozessgeschwindigkeit zusammenhängt. Anders ausgedrückt: Ein schneller Prozess führt sehr wahrscheinlich auch zu zufriedenen Bewerbern – und auch umgekehrt. Der Zusammenhang ist größer, als bei allen anderen untersuchten Dimensionen.

Literatur: 

Meyer, C. & Schwager, A. (2007) Understanding Customer Experience, in: Harvard Business Review 02/2007

Stindl, B. (2010) Leitfaden CEM , expert consulting (online)

Verhoeven, T (2012a) Candidate Experience: #1 die Theorie, auf Recruitingnerd.de

Verhoeven, T. (2012b) Der Net Promoter Score, auf Recruitingnerd.de

Verhoeven, T. (2016) Candidate Experience – Ansätze für eine positiv erlebte Arbeitgebermarke im Bewerbungsprozess und darüber hinaus, Springer-Gabler Verlag, Wiebsaden.

Verhoeven, T. (2019) Digital Candidate Experience; in: Digitalisierung im Recruiting: Wie sich Recruiting durch künstliche Intelligenz, Algorithmen und Bots verändert; Springer-Gabler, Wiesbaden. (Erscheint hier)