Ich hatte vor einer Woche das Vergnügen einen Vortrag zu halten inklusive einer anschließenden Diskussion mit Experten von vielen kommunalen Krankenhausträgern. Es ging um Daten im Recruiting und das Thema Fachkräftemangel in der Pflege. Auch in meiner Vergangenheit habe ich den einen oder anderen Workshop mit Kliniken gemacht zu Themen wie Eignungsdiagnostik oder Candidate Experience. Ich war zwar schon in vielen Branchen, aber trotzdem gibt es in der Rekrutierung von Pflegekräften ein paar Besonderheiten, die mich dazu motiviert haben, hier ein wenig über diese Branche zu bloggen – und das vielleicht noch ein wenig in Folge-Artikeln zu vertiefen.

Besonderheit 1: Es gibt in der Gesamtbetrachtung einen Mangel

Im Gegensatz zu anderen Märkten gibt es schlicht zu wenig qualifiziertes Personal. Selbst wenn jeder qualifizierte Bewerber einen Job bekommen würde, wären immer noch viele Stellen offen. In meinem Heimatbundesland Nordrhein Westfalen gab es im letzten Jahr einen Mangel von rund 10.000 vollzeitäquivalenten Pflegekräften. Laut offizieller Aussagen der Bundesagentur für Arbeit vom Mai diesen Jahres sieht die Arbeitsmarktsituation sehr angespannt aus: „Bei Altenpflegefachkräften besteht ein bundesweiter Fachkräftemangel. Bei Krankenpflegefachkräften besteht mit Ausnahme von drei Bundesländern ebenfalls Mangelsituation.“  Die Anzahl der offenen Stellen als Pflegefachkräfte übersteigt seit Jahren die Anzahl an arbeitslos gemeldeten Personen. Lediglich im Bereich der Helferinnen und Helfer sieht es weniger angespannt aus.

Besonderheit 2: Wirtschaftlicher Schaden leicht zu erkennen 

Es gibt gesetzliche Grenzen für die Mindestzahl von Pflegekräften pro Patient, die eingehalten werden müssen – diese werden zu Januar 2021 noch einmal angehoben. Im Bereich der Intensivmedizin sind es beispielsweise 2,5 Patienten je Pflegekraft und ab 01.01.2021 sind es 2 Patienten je Pflegekraft. Das bedeutet, dass sich die Lage auf dem Markt noch weiter anspannen wird in den nächsten Monaten, um diese Quoten einzuhalten.
Wenn diese Quoten nicht eingehalten werden, müssen Betten geschlossen werden. In dem genannten Beispiel der Intensivmedizin mussten in diesem Jahr rund ein Drittel aller Kliniken Betten schließen, um die Mindestgrenze zu erreichen.

Besonderheit 3: Das letzte Mittel – die Wechselprämie

In vielen Branchen ist der Wettbewerb hart – aber in der Pflegebranche sieht man ein paar Entwicklungen, die in der Häufung ungewöhnlich sind. In der Pflegebranche findet gerade ein Wettbieten statt – im Gegensatz zu anderen Branchen jedoch nicht im Bereich Gehalt, sondern in Form von sogenannten Antrittsprämien. Hierbei handelt es sich um Prämienzahlungen, die neue Mitarbeiter bekommen – manchmal sofort, manchmal nach der Probezeit und manchmal gestaffelt. So etwas gibt es grundsätzlich auch in anderen Branchen – bei Pflegekräften wird jedoch sehr offensiv in Stellenanzeigen, auf Karriereseiten oder auf Plakaten damit geworben. Immer mehr Einrichtungen springen auf diesen Zug auf. Waren es erst wenige tausend Euro, gab es plötzlich 5.000 EUR Antrittsprämie, dann 8.000 EUR und mittlerweile sogar mehr als zehntausend Euro. Sehr charmant fand ich übrigens die Bezeichnung „Willkommensprämie“, den ich bei einer Einrichtung gefunden habe. Klingt doch gleich viel freundlicher – unabhängig von der moralischen Diskussion die mit dieser Thematik zwangsläufig einhergeht.

Traumbedingungen für modernes Recruiting?

Diese Entwicklungen sollten ja dazu führen, dass in dieser Branche extrem gut aufgestellte und bestens ausgerüstete Recruiting-Abteilungen existieren. In anderen Branchen mit schwer zu besetzenden Profilen, wie IT oder Consulting sieht dies in der Regel schon so aus. Aber in der Pflege? Bisher Fehlanzeige meiner Erfahrung nach. Erfreulicherweise sehe ich immer mehr neue und motivierte Kolleginnen und Kollegen (wie beispielsweise Katharina Nolden oder Katharina Lutermann), die in diese Branche wechseln, aber die Erfahrungsberichte sehen mehr so aus, als wäre die Branche noch immer in einem Dornröschenschlaf und würde erst ganz zaghaft erwachen. Hier und da ein paar schöne und gelungene Versuche, das Thema der Arbeitgebermarke anzugehen (ganz vorne dabei natürlich Marc Raschke) – aber im klassischen Recruiting sieht man da weniger moderne Ansätze.  Das ist nicht verwunderlich, da viele dieser Unternehmen in diesen Bereichen erst vor ein oder zwei Jahren angefangen haben, ansatzweise Strukturen aufzubauen. Da ist (professionelles) Recruiting für viele Unternehmen noch Neuland.

Ich bin sehr gespannt, wie sich die angespannte Situation auf dem Arbeitsmarkt auf die Qualität und Professionalisierung des Recruitings auswirken wird. Werden die zukünftigen Recruiting-Größen nicht mehr von IT-Firmen (oder Firmen mit hohem IT-Bedarf) abgeworben werden, sondern von Unternehmen, die händeringend Pflegekräfte suchen? Wird es ein Wettbieten bei den Willkommensprämien geben? Es bleibt auf jeden Fall spannend.